Kira_Taszman | Monday, der 3. March 2014
Zwei Abräumer, ein Totalverlierer, ein ewiger Unglücksrabe, viel schlechte Musik, zwei Vorzeige-Muttersöhnchen, eine Speisung der Gutverdiener, diverse Opfer der plastischen Chirurgie sowie Freudentränen und -tänze – das waren die Ingredienzien der diesjährigen Oscars.
Los ging es mit einer coolen Ellen DeGeneres im dunklen Anzug und ihrem routinierten Eröffnungs-Speech. In den ersten Reihe saßen, nach Filmfamilienzugehörigkeit geordnet, die Nominierten. Ein tapfer lächelnder Leonardo di Caprio – er war mit Mama Irmelin erschienen – hatte sich wohl schon im Vorfeld damit abgefunden, nach seiner vierten Oscar-Nominerung als Bester Schauspieler (für „The Wolf of Wall Street“) leer auszugehen. Als Achtzehnjähriger in „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“ hätte er ihn damals wirklich verdient gehabt. Hier musste er sich erwartungsgemäß Matthew McConaughey aus dem Aids-Drama „Dallas Buyers Club“ geschlagen geben. Der löste eine ungeschriebene Hollywood-Gleichung ein: Hetero-Schauspieler, der eine schwule Figur spielt oder/und erhebliche Gewichtsab- oder -zunahme = Oscar. Tom Hanks, Robert de Niro, Sean Penn und Christian Bale hatten es vorgemacht. Wie steht es eigentlich mit schwulen Schauspielern, die Hetero-Rollen übernehmen? Deren Wirken ist weitaus weniger Oscar-trächtig.
Als Goldjunge aus der ersten Reihe erwies sich Jared Leto. Für seine Rolle als Transe in „Dallas Buyers Club“ ergatterte er – auch das keine Überraschung – den ersten Oscar des Abends und widmete ihn als zweites Muttersöhnchen im Dolby Theatre prompt seiner neben ihm thronenden Frau Mama. Meryl Streep wiederum scheint mit der Academy of Motion Picture Arts and Sciences ja schon vor Jahrzehnten ein Oscar-Nominierungs-Abo abgeschlossen zu haben. Zum 18. Mal war sie eine der fünf Auserwählten bei den Schauspielerinnen, was Ellen DeGeneres mit einem Foto auf Twitter honorieren wollte. Das mit Beihilfe der Rampensäue Bradley Cooper, Jennifer Lawrence, Julia Roberts, Kevin Spacey, Brad Pitt und Angelina Jolie geschossene Selfie erhielt im Laufe des Abends geschlagene 2,5 Millionen Retweets und sorgte zeitweilig für einen Absturz des Kurznachrichtendienstes.
Ausstatterische und technische Preise gingen an „The Great Gatsby“ oder den Film, der sich zum zweiten Gewinner des Abends mausern sollte: Alfonso Cuaróns „Gravity“. Das Weltraumdrama erlangte insgesamt 7 Trophäen. Darunter befanden sich auch der Oscar für die Beste Kamera (Emmanuel Lubezki, der bereits für die Coen-Brüder und Tim Burton aktiv war) und der begehrte Academy Award für Beste Regie. Dass die Mitglieder der Academy ihr Herz ausgerechnet an dieses gut gemachte und spannende One-Woman-Drama verloren haben, ist angesichts der langen Abschnitte, in denen Sandra Bullock panikerfüllt ohne George Clooney durch den Kosmos schwebt, erstaunlich.
Den Oscar für die Beste Schauspielerin schnappte der guten Verliererin Bullock die Kollegin Cate Blanchett weg. Sie wurde für ihre Leistung in Woody Allens „Blue Jasmine“ als alkoholsüchtige Reichengattin geehrt, war glänzend aufgelegt und bedankte sich bei „Sandy“ und ihren übrigen Oscar-Konkurrentinnen aufs Überschwänglichste. Die nahmen es sportlich. Die abwesende Judi Dench hätte den Preis für ihre Rolle in Stephen Frears‘ „Philomena“ freilich auch verdient und damit als Seniorin der Nominierten für Beste Schauspielerin auch ein Zeichen in dem vom Jugendwahn heimgesuchten Hollywood gesetzt.
Denn der gelifteten, haartransplantierten und anderen krampfhaft auf jugendlich machenden Zelebritäten erschienen im Dolby Theatre wieder etliche: John Travolta schmückt sich mittlerweile mit dunkellila (falschem) Haar, während Liza Minelli, Goldie Hawn, vor allem aber die 81-jährige Kim Novak sich definitiv bei einem stümperhaften Chirurgen unters Messer gelegt haben. Gefühlsregungen wie Lächeln oder Stirnrunzeln sind angesichts dieser Extrem-Gesichtsstraffungen kaum noch drin. Da steht Harrison „Indy“ Ford schon mehr zu seinen Runzeln und demonstrierte auch, dass er für Quatsch jeder Art zu haben ist. Ellen De Generes ließ während der Show einen Boten mit Pizzas kommen und verteilte sie unter den Mitgliedern der Academy: Di Caprio verzichtete höflich, Ford dagegen luchste der Moderatorin energisch eine Serviette ab und aß mit dem selben Appetit wie die herzhaft kauende Jennifer Lawrence.
Als Inkarnation von Eleganz und Charme tat sich erneut Christoph Waltz hervor, der den Oscar für die Beste Weibliche Nebenrolle der kenianisch-mexikanischen Schauspielerin Lupita Nyong’o für ihre leidgeplagte Figur in „12 Years A Slave“ überreichte. Sie sorgte für die meisten Emotionen unter den Preisträgern und bedankte sich, mit den Tränen ringend, vor allem bei ihrem männlichen Counterpart Michael Fassbender. Der hatte ihr vor der Kamera heftig zugesetzt, soll hinter den Kulissen jedoch „ihr Fels“ gewesen sein. Ein verdienter Oscar an die Senkrechtstarterin, die hoffentlich noch eine lange Karriere vor sich hat.
Den Oscar für den Besten Dokumentarfilm erhielt „Twenty Feet From Stardom“, eine Beobachtung von Background-Sängern, während Paolo Sorrentinos Rom- und Verfallsstudie „La Grande Bellezza“ den Oscar für den Besten Nichtenglischsprachigen Film gewann.
Dass bei der Hommage an die im letzten Jahr verstorbenen Filmschaffenden der große, einen Tag zuvor verstorbene, französische Regisseur Alain Resnais übergangen wurde, demonstriert einmal wieder die Ignoranz Hollywoods für Kino, das nicht innerhalb seines Imperiums produziert wird. Immerhin wurde dem unvergessenen Philip Seymour Hoffman ein besonderer Platz im Nekrolog zuteil – er wurde als Letzter eingeblendet.
Doch nun zum großen Gewinner. Ellen DeGeneres hatte in ihrem Anfangsmonolog noch geunkt, dass es nur zwei Möglichkeiten für den Abend gebe. Erstens: „12 Years A Slave“ gewinnt den Oscar für den Besten Film oder, zweitens, „ihr seid alle Rassisten“. Ob Regisseur Steve McQueen diesen Witz lustig fand, haben die Kameras nicht eingefangen, fest scheint jedoch zu stehen: Die Academy-Miglieder sind keine Rassisten und „12 Years A Slave“ hat den Oscar für „Bester Film“ erhalten. Das überaus harte Sklaven-Drama über den 1841 auf eine Baumwollplantage in den Südstaaten entführten freien schwarzen Geiger Solomon Northup erfüllt das – ebenfalls ungeschriebene – Gebot der political correctness, weiß aber vor allem narrativ, schauspielerisch und emotional zu überzeugen. Am Ende widmete McQueen die Trophäe vergangenen und heutigen Sklaven und vollführte auf der Bühne Freudenhüpfer. Das Team von „American Hustle“ dagegen – mit sage und schreibe 10 Nominierungen angetreten – verließ den Veranstaltungsort als großer Verlierer. Die Mafia-Geheimdienst-Tragikomödie von David O. Russell war mit seinen kostümtechnischen und maskenbildnerischen Anhäufungen von Seventies-Geschmacksverirrungen (Schlaghosen!, Pelze!, Lockenwickler!, Koteletten!) aber auch eher Stilübung denn zwingende Gesellschaftsanalyse, und so geht der Triumph von „12 Years A Slave“ schon sehr in Ordnung.
Kira Taszman
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