Kein Pardon – „Koma“, der neue Harry-Hole-Krimi von Jo Nesbø

     |    Wednesday, der 4. December 2013

home_buch_komaKann Jo Nesbø nicht wenigstens ein einziges, klitzekleines Mal das Gute in seinen Geschichten siegen lassen? Am Ende von „Koma“, dem mittlerweile zehnten Harry-Hole-Krimi, wird es ungewöhnlich romantisch. Aber die Beschaulichkeit währt nur ein paar Seiten. Denn dann bricht das besonders Böse mit voller Wucht über eine bemitleidenswerte Figur herein. Es hatte sich angekündigt, hatte mehrere Anläufe genommen, doch das Opfer in spe war ihm stets entwischt. Anschließend war der Übeltäter, der übrigens nicht der Hauptmörder des Buches ist, auf Tauchstation gegangen.

Doch Jo Nesbø, der große norwegische Autor, wäre nicht der meisterhafte Strippenzieher, Manipulator und gnadenlos über seine Figuren waltende Krimi-Gott, der er ist, hielte er die Fäden der Kabale nicht auch in diesem Buch eisern zusammen. Den Bösen, und somit das Böse, vergisst er keinesfalls und lässt ihn just in dem Moment aus seiner erzählerischen Büchse der Pandora wieder entweichen, wenn der Leser sich in trügerischer Sicherheit wähnt. So tut das Ende in „Koma“ besonders weh, und dabei hatte Nesbø dem Leser im Laufe der Geschichte schon einige herbe Schläge in die Magengegend versetzt.

Nur am Anfang des Romans verschont Nesbø seine Leserschaft, wenn er einige schockierende Entwicklungen von Stammfiguren aus dem Vorgängerbuch „Die Larve“ abschwächt. Ansonsten belässt der Autor alles beim Alten in Oslo, dieser trüben und kalten Stadt, in der nun eine Mordserie an Polizisten die Ermittler in Atem hält. Die Opfer werden an einen ehemaligen Tatort gelockt und dort aufs Brutalste getötet. Denn offenbar nimmt der Täter den staatlichen Ermittlern übel, dass sie nicht alle ihre Fälle vollständig aufgeklärt hatten.

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Die Kriminalbeamten um den korrupten Polizeipräsidenten Mikael Bellman kommen dem Polizistenmörder nicht auf die Spur. Also wird Harry Hole, Nesbøs unvergleichliche Erfindung von einem Kommissar, aus der Versenkung geholt. Eigentlich hat sich der 1,94-Meter-Mann Harry freiwillig in den Ruhestand begeben und arbeitet nun als Dozent an der Polizeihochschule. In den letzten neun Abenteuern hatte der Ex-Alkoholiker sein Leben schließlich nur um den Preis von etlichen Schuss- und Stichnarben und den Verlust zweier Finger behaupten können.

Doch Harry ist ein Spürhund. Keiner ermittelt so hartnäckig, ja, so besessen wie er und keiner besitzt diesen untrüglichen Instinkt, diesen 7. Sinn für das noch so unbedeutendste Detail. So vermutet er den Mörder in den Reihen der Polizei selbst und soll damit erneut Recht behalten. Das kleine, eingeschworene Ermittlerteam um Harry arbeitet auf Hochtouren und ohne offizielle Genehmigung. Souverän verfügt Nesbø über sein altes und neues Stammpersonal. Akribisch, humorvoll und glaubhaft zeichnet er seine Figuren und bezieht ihre persönlichen Geschicke raffiniert in die Hauptintrige ein. Dass er aber auch bei der Dezimierung eben jenes Stammpersonals, das dem Leser ans Herz gewachsen ist, keine Tabus und kein Pardon kennt, beweist Nesbøs legendäre Kompromisslosigkeit.

In „Koma“ geht er in Subplots, die teilweise noch aus vorangegangen Harry-Hole-Abenteuern stammen und die am Ende des Buches als Cliffhanger-Material fungieren, sowie in dem eigentlichen Plot mindestens so konsequent über Leichen wie in seinem Meisterwerk „Rotkehlchen“, dem dritten Harry-Hole-Krimi. Wieder legt er geschickt falsche Fährten aus. Zwar erkennt man als Nesbø-Kenner die Finten, doch wo sie hinführen, weiß man nicht. Etliche Figuren geraten ins Fadenkreuz des Leser-Verdachts und immer wieder erweisen sie sich als die Falschen, wenn auch nicht immer als die im moralischen Sinne Unschuldigen.

In „Koma“ gefährdet Harry aufs Neue die ihm am nächsten stehenden Menschen, muss mit seinen Dämonen – darunter dem ewigen Verführer Jim Beam – kämpfen und frönt seiner Vorliebe für Gitarren-Rock. Er gerät in haarsträubend brenzlige, buchstäblich explosive Situationen, pflegt seine Freund- und Feindschaften, wird gar sexuell belästigt – alles mit der für ihn typischen, masochistischen Rücksichtslosigkeit gegenüber seiner eigenen Gesundheit.

So schafft Norwegens weltweit erfolgreichster Schriftsteller es mit diesem packenden Thriller erneut, seine Leser bei Laune und vor allem bei konstanter Spannung zu halten. Nesbø schreibt einfach in einer anderen Liga: besser als Adler-Olsen, Nesser und Mankell zusammen.

Kira Taszman

Foto: Jo Nesbø © Niklas R. Lello

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