SarahCurth | Saturday, der 27. April 2013
Fast jeder Modenarr (und ich möchte behaupten auch einige Nicht-Modenarren) kennen Anna Wintour, die Chefredakteurin der amerikanischen Vogue. Sie wird oft als gnadenlose Frau dargestellt, die das Magazin und ihre Untergebenen regiert, wie eine Königin – und Einfluss auf die Modeindustrie hat, wie keine andere. Doch nur wenige kennen eine ihrer Vorgängerinnen und den eigentlichen Prototypen der exzentrischen Moderedakteurin: Diana Vreeland (1903 – 1989), die „Empress of Fashion“.
2011 erschien ein Film über ihr Leben. THE EYE HAS TO TRAVEL ist ein Modemärchen, erzählt von Diana Vreeland selbst. Von ihrer Kindheit als Diana Dalziel in Paris, in der sie ihre Liebe zur Anmut von Pferden entdeckte. Von ihrer Mutter erhielt sie wenig Zuneigung, hässlich habe sie sie genannt. Ein Auslöser dafür, dass Diana anders als alle anderen sein wollte. Nachdem sie mit ihren wohlhabenden Eltern Ende des 1. Weltkriegs in die USA zog, begann sie zu tanzen. Und lernte dabei auch ihren Mann, den Bankier Thomas Reed Vreeland kennen.
Ihr eigentliches Leben setzte erst mit ihrer Arbeit als Kolumnistin für die amerikanische Harper’s Bazaar 1937 ein. Ohne Ausbildung, aber mit Gefühl für Mode, begann sie, Artikel voller Fantasie und Dekadenz zu schreiben. Mit ihrer unkonventionellen Art, eine neue Perspektive in das Magazin zu bringen, erfand sie die Rolle der Moderedakteurin, wie wir sie heute kennen. Sie beeinflusste nicht nur das Modemagazin, sondern auch die Mode selbst. Der Blue Jeans widmete sie sieben Artikel und der Bikini war für sie „das Größte seit der Atombombe“. Es wurden sogar Hollywood-Filme gedreht, die auf ihrer Person basierten.
Doch dann machte ihr 1962 die amerikanische Vogue das Angebot, Chefredakteurin zu werden. Sie wechselte zur Konkurrenz und machte aus einem bis dato langweiligen Heft ein progressives Lifestyle-Magazin. Sie erkannte das Potenzial von bisher unbekannten Mädchen wie Twiggy oder Cher und machte sie zu Ikonen. Wer in Dianas Vogue war, machte Karriere. Dabei kam es nicht auf klassische Schönheit an, sondern auf das, was Diana sah: Barbra Streisands markante Nase lies sie im Profil fotografieren und Veruschka Gräfin von Lehndorff als Leopard. Sie hatte eine Vision. Und Mode stand dabei nicht immer an vorderster Position. Für sie ging es „nicht um das Kleid, das du trägst, sondern das Leben, dass du in dem Kleid führst.“
Als die Finanzetage von Vogue kein Verständnis mehr zeigte für die opulenten Fotoshootings der Empress, musste sie gehen. Sie ging sie ins Museum. Als fachliche Beraterin der Modeabteilung des Metropolitan Museum of Art entstaubte sie die Kostüme und stellte sie aus, machte aus jeder Ausstellung ein Event. Sogar lebenden Designern, wie Yves Saint Laurent widmete sie eine – ein Skandal für die Verantwortlichen des Museums, die es als Werbefläche missbraucht sahen.
Lisa Vreeland, Ehefrau von Dianas Enkel Alexander, war schon immer fasziniert von ihr – auch wenn sie nie die Gelegenheit hatte, sie kennenzulernen. Sie schuf mit „The Eye Has to Travel“ – übrigens ein Zitat, das die bunte, opulente Welt in Dianas Vogue erklärt – ein Kunstwerk, das die Puzzleteile von Diana Vreelands Leben zusammensetzt. Interviews mit der Empress selbst und zahlreichen WegbegleiterInnen zeigen ihre Welt von innen und außen. Sie führte ihre Mitarbeiter mit strenger Hand. Konferenzen gab es keine. Wozu? Diana gab die Anweisungen. So erkennt man auch schnell, dass nicht alles, was Vreeland sagt, mit der Realität übereinstimmt. In einem kurzen Moment scheint das Bild der Grande Dame zu bröckeln. Doch gleich darauf merkt man, das das zu ihrem Bild dazugehört. Ihre Geschichte ist „Faktion“, eine Mischung aus Fiktion und Fakten. Denn „die Idee ist größer als die Fakten“.